Wenn
die Welt auseinanderfällt, gibt es keinen festen Grund mehr unter
den Füßen. Die Konstruktionen der Menschen krachen auseinander in
dem Augenblick, in dem die Fundamente wegbrechen. Alle
Erfahrungswerte werden ungültig in der Unberechenbarkeit des totalen
Umsturzes, jede Perspektive trügt.
In
dieser Situation gibt es nur das, was sich ganz direkt erfassen
lässt, ein radikal beschnittener Horizont in Zeit und Raum. Nichts
ist sicher, also muss alles mit Bedacht geschehen.
Ein
Klang. Hören.
Dieser
eine Klang scheint sicher zu sein. Ihn zu erzeugen, ihn zu hören,
bedeutet: ich lebe. Wenn alles andere unklar ist, unsicher,
gefährlich, dann ist diese Erfahrung, dieses Klingen und Hören:
zuhause.
Vielleicht
hatte dieser bestimmte Klang in der Alten Welt eine bestimmte
Bedeutung, wurde auf ganz bestimmte Weise eingesetzt. Nach der
Apokalypse ist diese Selbstverständlichkeit dahin. Die alte
Bedeutung mag noch mitschwingen, aber das Zutrauen in die
automatisierten Abläufe der Zivilisation ist dahin und wird nicht
wiederkommen. An die Stelle standardisierter Selbstverständlichkeit
tritt eine zaghafte Suchbewegung, vorsichtig und langsam.
Mehr
nicht.
Zu
dem einen Klang können noch eine Handvoll weitere dazu kommen, ein
kleiner Radius der Begehbarkeit entsteht, ein kleiner Raum, in dem
Beziehungen geknüpft werden können. Aber der Radius lässt sich
nicht vergrößern; ist etwas aus dem Blickfeld, und das Blickfeld
ist klein, dann ist es auch schon unsicher geworden, ungreifbar und
im Versuch, es erneut aufzugreifen bleibt der Zweifel, ob es nicht
ursprünglich ganz anders gewesen war. Das Vergewissern, Festhalten,
Ausweiten, Aufbauen, dass, was menschliche Entwicklung, Geschichte
ausmacht – es ist vorbei. Im kleinen Radius des Hier und in der
Zeitlosigkeit des Jetzt lässt sich nichts errichten, was über ein
provisorische Behausung hinaus gehen würde.
Wer
will so leben? Wer kann so leben?
Beklemmung,
Sinnlosigkeit.
Bloss
weg, bloss hinein in die Zivilisation, das Funktionieren, die
Geschichte.
Aber
wer kann ganz auf diese Erfahrung verzichten?
Jeder
ist konfrontiert mit dem totalen Zusammenbruch, spätestens mit dem
eigenen Tod.
Bei
musikalischen Gruppen-Expeditionen in Postapokalyptisches
Klangterrain stelle ich regelmäßig fest: ich gerate nicht in
Verzweiflung, sondern in Ekstase. Es mag eine Ekstase der
Verzweiflung sein, denn gerade die Zaghaftigkeit der Suchbewegungen
begeistert mich, das langsame vorwärts Stolpern ins Nirgendwo
erfüllt mich mit Glück und Kraft. Als ob ein Druck abfällt, weil
etwas ausgesprochen ist, was vorher bedrückte und sich im Moment des
Formulierens als gute Nachricht erweist.
Ich
verstehe mich dabei als Bergführer in die unwirtliche, extreme Zone
jenseits der sicheren Pfade der Musik der Zivilisation. Ausgestattet
mit metaphysischen Schwindelfreiheit und der existenziellen
Bedächtigkeit, die es braucht, wenn aller Boden unter den Füßen
wegsackt fühle ich mich wohl im Nichts und genieße den
atemberaubenden Höhenrausch der absoluten Verunsicherung.
Soweit einige assoziative Überlegungen zu meinem Musikschaffen, insbesondere der Minimal Improvisation, die ich in Zusammenabeit mit Jennie Zimmermann im Rahmen von www.phyla.info entwickelt habe.
Formuliert unter Einfluss der Lektüre von:
Imre Kertesz: Galerentagebuch,
Holger Schulze (Hrsg): Gespür - Empfindung - Kleine Wahrnehmung,
Sebastian Kiefer: Was ist eigentlich "ästhetische Moderne"?
Soweit einige assoziative Überlegungen zu meinem Musikschaffen, insbesondere der Minimal Improvisation, die ich in Zusammenabeit mit Jennie Zimmermann im Rahmen von www.phyla.info entwickelt habe.
Formuliert unter Einfluss der Lektüre von:
Imre Kertesz: Galerentagebuch,
Holger Schulze (Hrsg): Gespür - Empfindung - Kleine Wahrnehmung,
Sebastian Kiefer: Was ist eigentlich "ästhetische Moderne"?
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