Diese Notizen habe ich hier mal zusammen getragen, wünsche viel Spaß beim Lesen und freue mich über Kommentare!
Aktuelles zur Minimal Improvisation hier: Phyla
Vorgeschichte
Seit ich komponiere - „ernsthaft“
vielleicht seit meinem sechzehnten Lebensjahr – bin ich immer
wieder auf das Phänomen gestoßen, dass nach einer ersten
musikalischen Idee Schluss war mit meiner Imagination. In der
Annahme, dass über die erste Idee hinaus mehr folgen müsste, habe
ich das lange als Problem wahrgenommen.
Die erste Begegnung mit Minimal Music
fand dann während des Studiums der Musikwissenschaften in Köln
statt, eine CD mit „Drumming“ von Steve Reich, ein Stück, dass
mich sehr beeindruckt hat. In dieser Zeit , etwa 1992, habe ich auch
die Musik von John Cage kennen gelernt und habe kompositorische
Experimente gemacht, die ich zum Teil auch heute noch relevant finde,
die aber quasi in der Schublade geblieben sind.
Nach Kursen zu Improvisation bei Bojdar Dimov, Teilnahme an Rhythmik-Improvisation an der Musikhochschule zu Köln und ausgiebigem Erkunden der damaligen Kölner Improvisationsszene habe ich Ende der 90er im Rahmen
der Formation Hiroshi Metallic in Bonn einen guten
Rahmen für improvisierte Musik gefunden, mit Ergebnissen (auf zwei
CDs) die ich zum Teil auch heute noch schätze.
Im
Kölner Stadtgarten-Club habe ich bei „The Modernist“ aka Jörg Burger mein
Bekehrungserlebnis zu Techno gehabt. Vor allem die lebendige
Interaktion im Publikum, das Miteinander hat mich fasziniert. Der DJ (bzw. Laptop-Musiker)
stand irgendwo am Rand und ließ mit seiner Nicht-Präsens ganz viel
Platz – darüber habe ich Musik als sozialen Raum viel intensiver
begriffen als zuvor.
Außerdem habe ich einen Zugang zu der
mir zunächst stupide erscheinenden steten Wiederholung bekommen, ich
habe das nun auch verstanden als ein Raum-lassen, aber auch als eine
Möglichkeit, Intensität aufzubauen, ein akustisches Insistieren.
Bei Hiroshi Metallic habe ich dieses Insistieren in meine
Gitarrenparts eingebracht, bin immer wieder auf wenigen Tönen
„hängengeblieben“.
Aus Hiroshi Metallic hat sich Blotch
ergeben, wo zunächst auch die Improvisation der Ausgangspunkt war,
schließlich aber die Tanzbarkeit in den Vordergrund rückte und
festere Arrangements bedingte. Diese Abkehr habe ich auch als
befreiend erlebt, sie hat mir den Weg zu einem Verständnis von Musik
machen als Ritual eröffnet: stetige Wiederholung als
quasi-meditative Praxis, die gespielten Töne nicht als
Selbstausdruck sondern eher als Unterwerfung unter eine rituelle
Disziplin. Diese knüpfte an meine Meditationserfahrungen an und fand
auch Ausdruck darin, wie wir bei Blotch darauf zielten, dem tanzenden
Publikum einen Rahmen für Intensität, ja Tanzrausch zu bieten.
In einer Schaffenspause von Blotch habe
ich begonnen, an Kompositionen für Obertongesang und Gitarre zu
arbeiten, daraus wurde eine Werkgruppe, die ich „Fake African
Memories“ getauft habe. Neben dem Obertongesang war hierbei mein
frisch erwachtes Interesse an (west-)afrikanischer Musik wesentlich,
vor allem Boubacar Traore. Die dort verwendeten rhythmischen
Strukturen waren eine bereichernde Herausforderung und Erweiterung
meines musikalischen Vokabulars.
Angesichts der fertigen Kompositionen stellte ich aber fest, dass ich kein Interesse an Soloauftritten mit Gitarre und Gesang habe – daran habe ich noch mal genauer begriffen, dass Musik für mich ganz wesentlich Interaktion bedeutet, Interaktion die nur in Form von Ensemblespiel stattfinden kann. Darüber hinaus haben mich die Liedstrukturen, die ich verwendet habe, gelangweilt, ich hatte das Gefühl es bedürfte eines weiteren Schrittes, um diese Strukturen zu verwischen und so die Musik zu beleben.
An dem Punkt bin ich auf die Musik der
Pygmäen gestoßen, eine Musik in der genau diese Verwischung der
Strukturen stattzufinden schien. Diese Musik trägt in sich ein
Paradox: einerseits immer gleich, andererseits in ihrer Fülle stets
in Wandlung, nie ganz greifbar. Dieses Paradox von Statik und
Ungreifbarkeit ist zu einem Leitmotiv für mein Komponieren und
Improvisieren geworden, eine späte Antwort auf die Frage nach dem
„wie weiter?“ nach dem ersten musikalischen Einfall: gar nicht;
dabei bleiben und alles herausholen, was möglich ist. Das
ursprüngliche Problem, die nach einem Motiv versiegende Imagination,
entpuppte sich als Bedürfnis nach Konzentration und ist als solches
eine Stärke meines Komponierens geworden.
Die ersten Versuche, dies auch
praktisch umzusetzen fanden 2010 mit der Kargyraa Krew statt und
führten zu einigen schönen Livegigs, aber es blieb eine große
Differenz zwischen der polyrhythmischen Komplexität, die mir für
die Umsetzung meiner Ideen vorschwebte und dem, was sich dann
innerhalb der Proben erreichen und auf die Bühne bringen ließ.
Um meine Ideen dennoch umsetzen zu
können, habe ich mich eine Zeit lang intensiv mit den Möglichkeiten
von Loop-Machines beschäftigt und bin bei Ableton live als
bevorzugter Musiksoftware gelandet.
Geschichte
Die Geschichte der Minimal
Improvisation im engeren Sinne beginnt für mich mit den ersten
Versuchen, mit Jennie Zimmermann gemeinsam mit Loop-Machine bzw.
Ableton live Musik zu machen. Zwei zentrale Themen standen sofort im
Raum, allerdings erstmal als ungelöste Fragen:
Das Problem des „Zuviel“ - mit
wenigen geloopten Stimmen war bereits eine Dichte erreicht, die uns
beiden keinen Raum mehr zu lassen schien.
Unsere unterschiedliche
Herangehensweise an Zeit, an Rhythmus.
Ich hatte gerade Simha Aroms
umfangreiches Werk zu zentralafrikanischer Musik gelesen (Arom, Simha (2004): African Polyphony and Polyrhythm: Musical Structure and Methodology, Cambridge University Press) und war
erfüllt von der dort ausgebreiteten rhythmischen Kultur.
Dementsprechend bezog ich mich beim Improvisieren auf einen
gleichbleibenden, stetigen Puls, nicht hörbar, aber als gefühlte
Referenz, außerdem war ich darauf aus, dass wir beide einen festen
Zyklus mit definierter Anzahl dieser Pulse als Grundlage der
Improvisation vereinbaren.
Jennie hingegen verzichtete in der
Regel darauf, die Kanäle ihrer Loop-Machine überhaupt zu
synchronisieren und knüpfte für ihr Singen bei Bewegung und Tanz,
vor allem Contact Improvisation an, wo so gut wie ausschließlich
fließende Bewegungen vorkommen, Zeit also in Qualitäten, nicht in
Quantitäten gefasst wird.
Da hakte es, bedurfte der Annäherung.
Die hat dann zu einem großen Teil über Lektüre stattgefunden,
Lektüre zu Konzepten der Tanzimprovisation, Simha Aroms Ausführungen
über verschiedene musikalische Zeitkonzeptionen. Die entscheidenden
Hinweise zu der Verbindbarkeit unserer verschiedenen
Herangehensweisen an musikalische Zeit habe ich in dem Artikel von
Susanne Mahrenholz „Rhythmus
als Oszillation zwischen Inkommensurablem“ (In: Primavesi, Patrick/Mahrenholz, Simone (Hrsg.) (2005): Geteilte Zeit. Zur Kritik des Rhythmus in den Künsten, Schliengen)
gefunden. Mahrenholz beschreibt Rhythmus als ein paradoxes Phänomen,
dass qualitative und quantitative Aspekte grundsätzlich miteinander
verbindet, Rhythmus bedeutet stets, Zeit in einzelne relevante
Momente zu teilen und gleichzeitig wiederum auch, diese wie
herausgeschnittenen Momente zu einem kontinuierlichen Fluss zu
verbinden, eben zu EINEM Rhythmus.
Für mich hat diese klare Benennung der
grundsätzlichen paradoxen Widersprüchlichkeit rhythmischer
Phänomene das weite Feld zwischen ausschliesslich gezählter oder
ausschliesslich fließender Zeit geöffnet, eine Grauzone, in der
sich mit vielen wunderbaren Uneindeutigkeiten herrliche rhythmische
Spannungsfelder auftun.
Über das gemeinsame Improvisieren mit
Jennie bin ich auch wieder vermehrt mit Atonalität konfrontiert
worden. Seit meiner ersten Faszination für afrikanische Musik habe
ich mich beim Tonmaterial stark eingeschränkt, vor allem
pentatonische und diatonische Skalen verwendet. Warum? Vor allem aus
einem Bedürfnis nach Schlichtheit und Klarheit, die diese Reduktion
mit sich bringt. Viele der entsprechenden Kompositionen wurden dann
aber als ethnisch, als eine Art Folklore wahrgenommen, besonders wenn
ich sie mit dem ebenfalls ethnisch konnotierten Kehlgesang gesungen
habe. Die gemeinsamen Improvisationen im tonal nicht definierten Raum
haben mir einen Ausweg daraus gewiesen und in Morton Feldmans späten
Kompositionen habe ich dann entdeckt, dass Schlichtheit und Klarheit
durchaus mit Atonalität vereinbar sind, durch sparsame, behutsame
Verwendung des Tonmaterials. Diese Verwendung erwies sich auch als
die schlichte Loslösung zum Problem des „Zuviel“ in unserer
Musik: weniger machen.
2013 haben wir begonnen in unserem Lab
in Berlin mit sehr sparsamen Improvisationen zu experimentieren und
die Ergebnisse haben mich darin bestätigt, dass es keiner
verbindenden Skala bedarf sondern dass ich gerade jene
Improvisationen besonders interessant fand, bei denen sich das
Verhältnis der Klänge zueinander nicht so schnell und einfach
greifen liess.
So ein offenes Prinzip –
unterschiedlichste Klänge können ohne vorherige Auswahl zusammen
kommen - scheint mir passend zu dem Leben, dass ich um mich herum
betrachte: es existiert nicht ein verbindliches Modell, das Leben zu
leben, sondern verschiedene, zum Teil unvereinbare Vorstellungen. Bei
unserer Arbeit an Kompositionen mit vorgegebenen Melodien kam mir
häufiger der Gedanke, welche Relevanz diese Melodien für andere
haben könnten, was sie dazu bewegen sollte, genau diese Melodien mit
uns zu singen. Ohne auf diese Frage eine klare Antwort zu haben, hat
sie mich aber doch dahin geleitet, erstmal ein verstärktes Augenmerk
auf offene musikalische Formen zu legen, bei denen ich zwar die
Rahmenbedingungen, nicht aber die konkreten Töne, Rhythmen oder
Melodien vorgebe, quasi Meta-Kompositionen, die verschiedenste
Varianten der Ausführung ermöglichen und damit auch in sehr
unterschiedliche Klangergebnisse münden können.
Hier ergibt sich die Chance, im
Ensemble zu einer geteilten, impliziten Relevanz vorzustoßen, die im
gemeinsam entfalteten oder hörend mitverfolgtem musikalischen
Prozess aufscheinen kann.
Für mich waren offene Formen schon erprobt aus den „x mal y“-Performances, die ich 2001/2002
durchgeführt hatte, Reduktion spielte da allerdings keine Rolle.
Zur Konzeption der Minimal Improvisation bedurfte es an diesem Punkt nur noch der Ausformulierung einer Herangehensweise, die die verschiedenen Aspekte – Ergebnisoffenheit, Interaktivität, Sparsamkeit und Behutsamkeit, paradoxe Rhythmik - systematisch zusammenbringen würde. Inspirierend war dabei für mich die Konzeption des Underscore aus der Contact Improvisation, Erläuterungen der Musikwissenschftlerin Susanne Fürniss zu den Strukturen der Musik der Pygmäen sowie Überlegungen des Komponisten Jeremy Leach.
Der Underscore ähnelt eher einer
Übersicht von Möglichkeiten, er beschreibt Phasen und Handlungen,
die bei einer Contact Jam auftreten können, schafft dadurch
Bewusstheit, ohne enge Vorgaben zu machen. Daran haben wir uns im Lab
orientiert, ich habe eine Sammlung von Handlungsoptionen im
Musikfeld formuliert.
In „Music, Theory, back and forth“ (Link zum Download)
beschreibt Susanne Fürniss, wie die hochkomplexe polyphone Musik der
Aka Pygmäen ohne Notation überhaupt möglich ist, mit dem
interessanten Fazit, dass die Komplexität gerade durch einen sehr
schlichten Grundaufbau dieser Musik möglich wird, der dann ein
sicheres Fundament für endlose Varianten bietet. Dies führte mich
von der recht umfangreichen Aufzählung der „Handlungsoptionen im
Musikfeld“ auf die Suche nach einem einfacheren, schneller
erfassbaren Rahmen.
In seinen Texten zu algorithmischer
Komposition betrachtet der britische Komponist Jeremy Leach Musik mit
einem Fokus auf menschliche Wahrnehmungsprozesse (http://algorithmiccomposition.org/). Er beschreibt
musikalische Prozesse als das Abwechseln homogener Felder, die durch
Übergänge miteinander verbunden sind. Diese Sichtweise lässt sich
sowohl auf der Ebene von Ton zu Ton, als auch auf der Ebene
übergeordneter musikalischer Strukturen anwenden und ich habe sie
bei der Bündelung der „Handlungsoptionen im Musikfeld“ zur
Minimal Improvisation herangezogen: die Phasen der Minimal
Improvisation entsprechen übergeordneten homogenen Feldern, zwischen
denen kürzere oder auch längere Übergangsphasen möglich sind. Die
konkrete Abfolge der Phasen ergibt sich aus der schrittweisen
kollektiven Konstruktion des musikalischen Materials. Im Lab bewährte
sich die Idee, einen schlichten Grundaufbau zunächst in einer
Improvisation erwachsen zu lassen um dann darüber zu variieren. In
diesem Sinne können die Phasen als Abfolge aufeinander aufbauender
Prozesse angewendet werden, können aber auch als verschiedene
musikalische Zugänge in eigenem Recht verwendet werden.
Aus ihrer Entstehungsgeschichte wird
sehr klar deutlich, dass die Minimal Improvisation ein Bastard ist:
ihre Wurzeln reichen tief in die verschiedensten Kategorien von Musik
und darüber hinaus zur Bewegungskunst der Contact Improvisation.
Neue Musik, verschiedene Herangehensweisen an Improvisation, Minimal
Music, Minimal Techno, afrikanische Polyrhythmik, all dies spielt
hier eine Rolle, in der Vielzahl der Bezüge wird allerdings der
Gedanke eines einzigen Genres, dem das Ergebnis zuzurechnen wäre
obsolet.