Freitag, 19. Juli 2013

Handlungsoptionen im Musikfeld - eine offene Sammlung musikalischer Möglichkeiten

In einem Workshop von Heike Kuhlmann und Gesine Daniels zu Contact Improvisation und Gender habe ich den "Underscore" kennen gelernt, eine von Nancy Stark-Smith begonnene Sammlung individueller und kollektiver Verhaltensweisen, die im Rahmen von Contact-Jams zu beobachten sind. Die klare Benennung erhöht die Bewusstheit bezüglich dieser Verhaltensweisen und ermöglicht also genaueres, umsichtigeres Handeln.

Auf der gemeinsamen Suche mit Jennie Zimmermann nach Strukturierungsmöglichkeiten für kollektive musikalische Improvisation kam uns die Idee, die Form des "Underscore" - eine strukturierte Sammlung von Möglichkeiten - aufzugreifen und für musikalische Zwecke zu nutzen.

Hier zwei erste Entwürfe, in Form von Symbolen bzw. erklärenden Formulierungen, die in dieser Form in unserem Klang-Körper-Rhythmus-Lab zum Einsatz kommen sollen, um dann ergänzt, geändert, erweitert, revidiert zu werden. Bin gespannt welche Entwicklung dieser Ansatz nehmen wird...







































Aktion

Einen Klang erzeugen
Eine Kombination von Klängen erzeugen
Pausieren

Materialauswahl:
Töne, Tonkombinationen, Tonfolgen
Geräusche, Geräuschkulissen,
spezifische Skalen, Akkorde, Tonsysteme

Qualitäten

Lautstärke
Tonhöhe
Klangfarbe


Modus

Wiederholen
identisch wiederholen
variiert wiederholen
mentale Wiederholung als Ausgangspunkt für neue Klänge
gewichtet zwischen identisch wiederholten und variierten Elementen

Fortschreiten
mit gradueller Veränderung von Klang zu Klang
sprunghafte Abfolge von Klängen
ohne spezifische Relation


Relation


Zeitklammern (Stoppuhr)
Herdenverhalten (z. B. der nächste Klang erst, wenn alle einen Klang erzeugt haben)
Individuelle Abfolgen ( z. B. ein Klang nach dem anderen, synchronisiert nach Körperrhythmen - Atem, Herzschlag)


In Bezug auf einen Puls
individueller Puls
kollektiv geteilter Puls

In Bezug auf einen Zyklus von bestimmter Pulsanzahl
individuelle Pulslanzahl
kollektiv geteilte Pulsanzahl



Komplementarität - den Klängen der anderen ausweichen, die Lücken für eigene Aktionen suchen

Synchronizität - die Klänge, Zeitrelationen anderer aufgreifen und mitmachen

Asymmetrische Konstellationen von Klängen, Pausen, Pulsanzahlen

Kontrastierende Klangaktionen
Verschmelzende Klangaktionen
- über Klangfarbe
- über Rhythmik
- über Tonhöhe
- über Dynamikverläufe


Fokus
Individualität - Gruppenorientierung/ Einheitlichkeit

Konkurrierend - Kooperativ

Kollektiv - Führen/Folgen

Donnerstag, 18. Juli 2013

Klang-Körper-Rhythmus-Labor



Heute ist im Tatwerk das fortlaufende Klang-Körper-Rhythmus-Laboratorium gestartet, dass ich mit Jennie Zimmermann in Berlin nun 2 mal im Monat betreibe. Zwei intensive Stunden mit spannenden Erfahrungen und Begegnungen.

Der Ausgangspunkt, so ein Laboratorium ins Leben zu rufen war die Feststellung in unserer Duo-Arbeit, dass wir beide musikalische, künstlerische Ideen haben, die über den Duo-Rahmen hinaus gehen und sich auf ein soziales Feld, auf Gruppe beziehen. Überhaupt Musik zu machen interessiert mich vor allem als soziale Interaktion innerhalb einer Gruppe, was ich nicht zuletzt daran feststelle, dass Tracks, die ich alleine mit Musiksoftware erstellt habe, für mich in der Regel den Stellenwert von Skizzen haben. Offensichtlich sind die zwischenmenschlichen Aspekte für mein Befinden essentieller Teil der Sache, nicht immer, aber sehr häufig unabdingbar um gefühlt "gültig" zu sein. Blabla, bitte um Entschuldigung für die gedrechselte Ausdrucksweise.

Unsere Einladung:

Wie entsteht über Zuhören, Kommunikation und Aktion ein rhythmisch/klangliches intensives Spannungsfeld, das als Gruppe verbindet und gleichzeitig Platz bietet für musikalische Individualität und flow?

Auf der musikalischen Basis von minimalistischen Strukturen und polyrhythmischen Grooves,
die Monotonie und Fülle verbinden eröffnen wir einen Forschungsraum,
in dem Stimme, Klang und Körper im Fokus stehen,
um Harmonie und Dissonanz, Polyphonie und Polyrhythmik zu vernetzen und zu explorieren.

Für das Lab bieten wir Ideen und Strukturen und ein Warm Up, basierend auf Stimm- und Bewegungstechniken, Obertongesang und der Contact Improvisation.
Wir folgen dabei unserer Sehnsucht nach Erfahrungen gemeinschaftlicher, sinnlicher Intensität im performativen Rahmen und freuen uns auf wache, kritische und enthusiastische Zeitgenossen.



Die wachen, kritischen und enthusiastischen ZeitgenossInnen und -nen haben uns mit ihrem Erscheinen beglückt und wir haben heute bei ganz grundsätzlichen Aspekten des Rhythmischen angesetzt, bei der paradoxen Gleichzeitigkeit von Diskontinuität und Kontinuität, die dem Rhythmischen eigen ist:

Rhythmus basiert auf der Abfolge von Impulsen, die als voneinender getrennt erlebt werden, diese Abfolge gewinnt aber erst dann die Qualität des Rhythmischen, wenn sie diese Impulse zu einer Einheit, einer Zeitgestalt, verschmilzt. Sowohl dass Denken in eindeutig definierbaren Tempi, Takten, Notenwerten als auch das Einfühlen in unendlich abgestufte und damit fließende Qualitäten von Gestalt, Gestus und Kontrast - Rhythmus verbindet diese sich für gewöhnliche ausschließenden Wahrnehmungsweisen, schafft eine "Oszillation zwischen Inkomensurablem", wie die Philosophin Simone Mahrenholz in ihrem gleichnamigen unbedingt lesenswerten Aufsatz ausführt (in: Geteilte Zeit. Zur Kritik des Rhythmus in den Künsten, Hrsg.: Patrick Primavesi und Simone Mahrenholz).

Praktisch haben wir dies anhand von Bewegungen erkundet, die tendenziell eher den einen oder den anderen Modus nahelegen, also die eindeutigen Impulse von Schritten einerseits mit fließenden Roll- und Wälzbewegungen andererseits verglichen und in Beziehung gesetzt und nicht zuletzt erkundet, welche Gesangsimpulse derartige Bewegungsqualitäten nahelegen.

Frappierend war für mich, wie sehr ich rhythmische Konstellationen schätze, die Spannung und Reibung durch gegenläufige Akzentsetzungen erzeugen und wie sehr es dafür starke Gegenüber braucht, mit denen ein intensives "Gegeneinander-Miteinander" möglich ist. Musikalisch ist mir dies schon lange klar, aber die sozialen Implikationen sind mir heute stärker als zuvor aufgefallen.

Freu mich auf die kommenden Labore…

Montag, 15. Juli 2013

Komponieren mit Patterns 3 - Ungerade Takte

Aus zwei oder drei in rhythmischen Variationen wiederholten Tönen etwas zu machen, dass mich selber fasziniert, diesen Kompositionsansatz, der für mich sehr wichtig ist, habe ich ja bereits skizziert.

Von diesem Ansatz aus erschließt sich mir eine Vielzahl interessanter Möglichkeiten:

1. Ungerade Rhythmen:
Angesichts der Freude, die mir Patterns machen, die einen geraden 4/4-Beat umspielen, Spannung erzeugen durch von diesem regelmäßigen Referenzrahmen abweichende Akzentuierungen ist es natürlich naheliegend, den Referenzrahmen an sich sperriger und somit spannungsreicher zu machen durch eine ungerade Pulsanzahl: 7, 11 oder eben 17 wie bei der Komposition Szhenieb:



Das Stück habe ich 2006 erstmals im Duo mit Schlagzeuger Florian Dietz aufgeführt, nun greife ich es gerade mit Para Hybrid & Genia Mascara wieder auf.

Lange bevor ich mich theoretisch damit beschäftigt habe, bin ich diesem Modell - wiederholende Patterns in ungeraden Takten immer wieder als Intros oder Zwischenspiele in Kompositionen Ian Andersons für Jethro Tull begegnet, was sie zu einem selbstverständlichen, naheliegenden Teil meines musikalischen Imaginations-Repertoires gemacht hat: wenn mir ein Pattern "aus dem Nichts" in den Kopf kommt, ist es häufig derartig strukturiert.

Als zweites Beispiel Dishöz:





Zur Binnenstruktur beider Stücke:
Szhenieb ist ähnlich aufgebaut wie Rigidur (ABBA-Form), nur das an die Stelle identischer Wiederholungen Varianten treten: A (3 Pulse) B (5 Pulse) B Var. (6 Pulse) A Var. (3 Pulse) Während A variiert wird indem einen Ganzton tiefer gespielt wird, wird bei der Variante von B ein Puls hinzugefügt. Ein wesentlicher Unterschied, schließlich wäre das gesamte Pattern sonst 16 Impulse lang und somit gerade.

Die Struktur von Dishöz ist als A (7 Pulse) B (6 Pulse) A (7 Pulse) B Var. (5 Pulse) beschreibbar. Hier ist der ungerade Charakter schon in der Kombiation A und B (13 Pulse) angelegt, was die identische Widerholung von A wie eine Variation wirken lässt, da sie einen der Hörerwartung - da ja sehr viel Musik sich in geraden Takten abspielt - zuwiderlaufenden Akzent setzt.

Weitere Möglichkeiten werde ich demnächst ausführlicher ansprechen, hier ein Ausblick, was zu erwarten ist:

2. Die 3 als rhythmische Basis:
Fasziniert von Musikern wie Boubacar Traore aus Mali habe ich Rhythmen für mich entdeckt, denen die Dreiteilung des Pulses zugrunde liegt, vor allem den 12/8-Takt. Aus dieser Entdeckung speisen sich meine Kompositionen der Gruppe "Fake African Memories" Mascara, Transit, Gogokokoroko Spryh und Void. Diese Stücke habe ich zunächst in Liedform komponiert, mit aufeinander folgenden Phrasen (Warum jetzt Phrasen und nicht Patterns? Dazu später mehr...).

3. Polyphonie und Polyrhythmik:
Die Fake African Memories in Liedform waren für mich der Ausgangspunkt für die Dekonstruktion eben dieser Liedform hin zur Gleichzeitigkeit aller zuvor aufeinander folgenden Phrasen. Wegweisend war dabei zum einen der Höreindruck der Gesänge der Pygmäen und die intensive Beschäftigung mit Simha Aroms Analysen zu zentralafrikanischer Musik.

Und darüberhinaus:

4. Improvisation als Kombinatorik bestimmter Elemente innerhalb eines gemeinsamen rhythmisch-melodischen Rahmens

5. Rhythmus zwischen gerasterter und fließender Zeit

6. Computer-Generieren von Patterns und Patternkombinationen

7. ...

Mittwoch, 3. Juli 2013

Komponieren mit Patterns 2 - Welche Mittel, welche Komplexität?



Hier nochmal ein genauerer Blick auf die in "Komponieren mit Patterns 1" vorgestellten Patterns. Alle Drei werden über einen geraden 4/4-Beat mit Kickdrum auf der 1 und 3, Snare auf der 2 und 4 gespielt. Das Tonmaterial besteht jeweils aus zwei Tönen. Bei Rigidur und Decrule bilde ich aus diesen zwei Tönen jeweils eine Pattern-Kernzelle aus drei Impulsen, Bei Haeree besteht diese Kernzelle aus zwei Impulsen. Das jeweilige gesamte Pattern "erwächst" nun aus diesen Kernzellen, wobei auf zwei Ebenen "Mutationen" bzw. Variationen geschehen:

1. Die Position: die Kernzelle wird entweder an identischer Zählzeit wiederholt, so bei "Haeree" in allen vier Takten auf der 1 +. Oder die Wiederholung geschieht nicht auf der gleichen Zählzeit, wie bei Rigidur, wo die Kernzelle auf dem sechsten Sechzehntel des ersten Taktes wiederholt wird. In diesem Fall verschiebt sich die interne Akzentuierung der Figur vom ersten auf den dritten Ton, die Figur erfährt eine andere Gewichtung.

2. Interne Variation: die Kernzelle wird nicht in genau identischer Form, sondern verändert wiederholt. Bei Rigidur findet sich eine Variante, bei Haeree Drei, bei Decrule sind es Vier.


Zur Struktur der Patterns

Bei Rigidur habe ich aus den gerade beschriebenen Variationsmöglichkeiten (Position, interne Variation) zwei verschiedene Takte gebildet, die in umgekehrter Reihenfolge wiederholt werden, die Struktur ist also ABBA.

Haeree ist geprägt von einem jeweils identischen Taktanfang, gefolgt von verschiedenen Variationen, die eine ABAC-Struktur ergeben.

Die von mir behauptete Komplexität bezieht sich hier also nicht auf den Gesamtaufbau der beiden Patterns, der ja sehr schlicht ist. Der Eindruck des Sperrigen, Vertrackten speist sich hier vielmehr aus der Umspielung des 4/4-Beat, aus der deutlichen Differenz der Akzente der Patterns zu dieser regelmäßigen Referenz.

Die Varianten bei Decrule sind nicht so eindeutig strukturiert, sondern ergießen sich freier über das gesamte Pattern.


Meine Assoziation zu dieser kompositorischen Vorgehensweise ist das Drehen und Wenden einer Sache, um von immer neuen Blickwinkeln darauf zu schauen, das Verweilen bei einem Thema, immer neu ansetzend, ob sich nicht noch eine weitere Art findet, um das Selbe zu sagen. Dieses Drehen und Wenden, neu ansetzen ist hier jeweils auf vier Takte beschränkt - bei Aufführungen liegt es nahe, die Varianten durch Unterschiede im Mikrotiming noch weiter auszureizen und aufzufächern und so diese Beschränkung als Ausgangspunkt für weitere Vielfalt zu nehmen, oder, wie in den elektronischen Varianten der Stücke durch wechselnde Kombinationen mit verschiedenen anderen Stimmen den Kontext und damit auch die Wirkung der Patterns zu verändern.

Para Hybrid & Genia Mascara Photos

Fotosession Para Hybrid & Genia Mascara

Montag, 1. Juli 2013

Komponieren mit Patterns 1 - Komplexität mit minimalen Mitteln

Kurze Tonmotive spielen für mein Komponieren eine zentrale Rolle, hier dazu eine einige Gedanken in Serie.

Anfang der 90er Jahre bekam ich vom Vater meiner damaligen Freundin eine Cassette mit Aufnahmen von Musikern der südafrikanischen Khosa. Ein Track bestand aus einem auf einem Metallgegenstand geschlagenen Rhythmus. Der Klang war rauh, billig, vor meinem inneren Auge handelte es sich um einen Mülltonendeckel - was sicher nicht zutreffend ist. Der Rhythmus bestand aus zwei oder drei verschiedenen Klangfarben, die in einem kurzen Muster ohne Variationen gespielt wurden. Alles in allem also ein sehr überschaubarer Rahmen, nur: ich war nicht in der Lage, den Rhythmus einzuordnen, er entzog sich meinem Fassungsvermögen. Dieses Spannungsverhältnis - hohe Komplexität mit minimalen Ausdrucksmitteln, hat mich fasziniert und begeistert und ist inzwischen zu einem Grundprinzip meiner kompositorischen Herangehensweise geworden. Bei meinen Gitarrenparts bei Stücken von Blotch gibt es einige, die das widerspiegeln, z. B. bei "Rigidur". Neben der erwähnten Xhosa-Aufnahme war hier die brasilianische Berimbau eine Inspiration, ein Instrument mit minimalem Tonumfang, aber vielen Möglichkeiten zur rhythmischen und klangfarblichen Variation.




Das Pattern beginnt 2:19.

Drei Töne reichen für meinen kompletten Gitarrenpart, die meiste Zeit bestreite ich mit Zweien, man könnte auch sagen mit der Variation eines Tones, denn es handelt sich um eine Oktave; die Vielfalt spielt sich im Rhythmischen ab. Bei "Rigidur" spielt dieses Pattern die Rolle einer zweiten Stimme, hinter dem Gitarrenpart von Kollege Michael Hauck. Bevor es in dieses Arrangement eingeflossen ist, hatte ich es mit Musiksoftware als zentrales Motiv arrangiert:




Hier zwei Stücke, bei denen ebenfalls komplexe Zwei-Ton-Patterns das zentrale Motiv bilden. Es handelt sich um in Ableton-live erstellte Skizzen für Bandbesetzung, die aber auch in dieser nackten elektronischen Gestalt ihren kalten Reiz haben:





Neben dem Zwei-Ton-Ansatz für das zentrale Motiv sind noch weitere Aspekte für beide Stücke charakteristisch: keine Variation, ausschließlich Wiederholung sowie ein Minimum an musikalischem Material, also ein, maximal zwei Motive pro Instrument. Beide Aspekte sind meiner Freude an Minimal Music und Techno geschuldet und natürlich dem oben beschriebenen Prinzip der Verbindung von Komplexität und Reduktion. Das variationslose Verweilen bei einem Motiv verweist eher auf die mechanische Ausführung eines Rituals als auf persönlichen Ausdruck. Ein Kreisen, Verharren im Moment, dramaturgisch strukturiert nur durch das Ein- und Aussetzen der Instrumente, bzw. im Fall von Decrele der harmonischen Fortschreitung gegen Ende.